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Radsport - Index

Vom Radfahrsport

Von Reinhold Cronheim. Mit 8 Abbildungen

Mit dem Frühling, der in die deutschen Lande gezogen ist, ist auch die Lust am Sport, die Freude an körperlichen Übungen erwacht. Überall regt es sich draußen - auf dem grünen Rasen galoppieren die mutigen Renner, die Wasserläufe sind belebt von Ruderern und Seglern, wo sich Gelegenheit bietet, sieht man Fußballspieler hinausziehen, und auf dem Lawn-Tennisplätzen tummelt sich die junge, elegante Welt im lebhaften Spiel.

Natürlich wollen auch die Radfahrer nicht zurückbleiben, und so haben sie sich denn in den ersten schönen Frülingstagen auf der Radrennbahn in Friedenau bei Berlin bereits ihr Stelldichein gegeben.

Die graue Zementbahn in Friedenau hat schon viele Radfahrerschlachten gesehen, die hervorragenden Rennen bilden wirkliche Volksfeste, weil das Radeln in gewissen Bevölkerungsschichten populärer geworden ist, als der Pferdesport. Unstreitig hat das Radfahren als Sport im allgemeinen eingebüßt, die Maschine ist in den letzten Jahren viel mehr Beförderungsmittel als Sportwerkzeug geworden, aber die großen Wettfahrten finden doch immer noch ihr Publikum. Namentlich erfreuen sich die großen Professionals unter den Radfahrern einer ungemeinen Popularität, sie werden bei Siegen bejubelt, und man hält wie bei den römischen Zirkusspielen keineswegs mit Äußerungen der Mißstimmung zurück, wenn ein besonderer Liebling die Erwartungen täuscht.

Die Kunst des Radrennfahrens ist eine schwere. Sie erfordert ganz bestimmte körperliche und auch seelische Eigenschaften, vor allen Dingen aber, wenn die Vorbedingungen gegeben sind, ein ausdauerndes und energisches Training. Die inneren Organe des menschlichen Körpers werden beim Radfahren in außergewöhnlicher Weise in Anspruch genommen, und es ist viel darüber gestritten worden, ob Radeln der Gesundheit überhaupt zuträglich sei. In mäßigem Umfang betrieben, ist es gewiß ein außerordentliches Vergnügen; der Radfahrer, der aber nur seine gewöhnlichen Touren fährt, kann in keiner Beziehung mit dem verglichen werden, der sich zum gewerbsmäßigen Radfahren ausbilden will. Es besteht hier der gleiche Unterschied wie zwischen Rennreiter - sei er Herrenreiter oder Jockei - und jenem, der den Pferdesport nur aus Liebhaberei betreibt. Der Radrennfahrer hat sich fortgesetzt im Training zu erhalten, er hat auf seine Ernährung zu achten, er muß äußerst vorsichtig im Gebrauch von Genußmitteln aller Art sein, namentlich sich vor dem übermäßigen Alkoholgenuß hüten.

Natürlich hat das Publikum unter den Radrennfahrern seine Lieblinge, genau so wie auf dem grüne Rasen. Bei den Osterrennen in Friedenau wurde den Berlinern, die zu vielen Tausenden nach der Bahn gepilgert waren, eine arge Entäuschung zuteil. Ein ausgesprochener Favorit des Berliner Publikums war bisher der Münchner Radrennfahrer Nobl, auf den man die stärksten Hoffnungen gesetzt hatte. Es kommt nämlich bei allen derartigen sportlichen Veranstaltungen und Spielen ein gewisses Nationalgefühl zum Ausdruck, man hat es gern, daß der Landsmann über den Fremden den Sieg davonträgt. Nobl mußte gegen den Amerikaner Walthour in die Schranken treten, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, und da er im Vertrauen auf seine glänzende natürliche Veranlagung, zum Teil auch infolge der Ungunst der Witterung sich nicht gehörig trainiert hatte, unterlag er kläglich, was ihm die Berliner sehr übelgenommen haben.

Eins der Hauptereignisse auf der friedenauer Rennbahn ist das Rennen um das "Goldene Rad", d. h. um eine Medaille, die einen Wert von fünhundert Mark repräsentiert. Außerdem sind Preise ausgesetzt, die ungefähr die Höhe von 6000 Mark erreichen. Es handelt sich dabei um ein Dauerrennen über hundert Kilometer, - immerhin eine außergewöhnliche Leistung. Selbstverständlich treten dabei die besten Radfahrer der verschiedenen Nationen in Konkurrenz - in diesem Jahr waren außer dem Amerikaner Walthour und dem Münchner Nobl aus Deutschland noch der bekannte Fahrer Salzmann, aus Holland Dickentmann und aus der Schweiz Ryser in Wettbewerb getreten, von denen Nobl als Erster durch das Ziel ging.

Der sonst so kühle und skeptische Berliner gerät bei solchen Angelegenheiten förmlich in Ekstase. Nicht nur daß er es für Ehrenpflicht hält, dafür zu sorgen, daß die Bahn ausverkauft ist, sondern er tritt auch aus seiner sonstigen Reserve heraus und widmet sich den sportlichen Vorkommnissen mit großer Leidenschaftlichkeit. in der Bewillkommnung und Begrüßung des Siegers kennt er dann keine Grenzen, namentlich wenn er auf ihn gewettet hat - ebenso unfreundlich kann er aber auch sein, wenn sein Vertrauen getäuscht wurde.

Jedenfalls bilden die Radrennfahrten in Friedenau ein originelles Momet im gesamten Berliner Sportleben.

Quelle: Die weite Welt, Vom Fels zum Meer-Wochenausgabe No. 38. von 1904; Verlag von August Scherl GmbH Berlin; Jadu 2000



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